Fortschritt vs. Historie: Die Straßenbahn in Naumburg

13. März 2025 | Lesezeit: ca. 4 Minute(n)
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Die historische Straßenbahn in Naumburg liefert gute Gründe, warum technischer Fortschritt nicht immer das Maß aller Dinge sein muss und dass es sich lohnt, Traditionen fortzuführen. 2024 stellte die Naumburger Straßenbahn mit dieser Devise sogar einen Fahrgastrekord auf und bildet inzwischen den ersten Azubi im Betrieb aus. Der Verkehrsmeister des kleinsten Straßenbahnbetriebs Deutschlands gab uns bereits 2022 einen Einblick in seine Arbeit.

Wer die Eingangshalle des Naumburger Hauptbahnhofs verlässt, wird sogleich abgeholt – und zwar vom altehrwürdigen Flair einer längst vergangenen Zeit. Das liegt nicht zuletzt an der historischen Naumburger Straßenbahn, deren teilweise über 90 Jahre alten, elektrischen Triebwagen seit 1907 durch das sachsen-anhaltische Mittelzentrum tuckern – wenn auch mit kurzen Unterbrechungen.

In den Traditions-Triebwagen ist übrigens seit 2015 auch das MDV-Ticket gültig. Wer mit einem Fahrschein zum MDV-Tarif oder einem Deutschlandticket am Naumburger Bahnhof angekommen ist, kann also einfach nahtlos weiterfahren.

Allseits beliebtes Vehikel

Fahrerplatz in der Naumburger Straßenbahn mit Blick auf andere historische Straßenbahn

Sechs Wagen, eine Linie, 30 Minuten Fahrtzeit: Die urige Tram des kleinsten Straßenbahnbetriebs Deutschlands eignet sich hervorragend, um den nach dem Zweiten Weltkrieg gut erhaltenen Stadtkern mit dem Naumburger Dom, einem UNESCO-Welterbe, zu erkunden. Aber nicht nur bei Touristen, auch bei der einheimischen Bevölkerung ist die Akzeptanz und Freude groß, wie der Verkehrsmeister der historischen Straßenbahn Mike Ewald berichtet:

"Bei den Bürgerinnen und Bürgern herrscht eine hohe emotionale Verbundenheit mit unserer traditionellen Bahn. Sei es nun die Oma, die zum Einkaufen oder der Pendler, der zur Arbeit fährt: Nicht selten ergibt sich ein Plausch mit dem Tramführer, der angereisten Fahrgästen gerne auch Restaurants oder Sehenswürdigkeiten empfiehlt."

Da jedes Gefährt nur aus einem kleinen Wagen besteht, kennt und grüßt man sich – so bringt die Naumburger Straßenbahn nicht nur eine historische Note in die Stadt, sondern auch die Leute zusammen.

Born to be Verkehrsmeister

Mike Ewald sitzt in einer historischen Naumburger Straßenbahn

Dass das auch heute noch so gut funktioniert, daran ist Verkehrsmeister Mike Ewald entscheidend beteiligt. Nachdem der Straßenbahnbetrieb nach der Wende zwischenzeitig eingestellt wurde, stand er im zarten Alter von 13 Jahren vor dem Straßenbahndepot der Naumburger Tram, um mitzuhelfen, sie wieder in Gang zu setzen. Seine Begeisterung für den ÖPNV und sein unbändiger Einsatzwille kommen dabei nicht von ungefähr: "Nicht nur war mein Opa beim Gleisbau tätig", erzählt der gebürtige Naumburger, "ich bekam auch früh eine Modelleisenbahn geschenkt, was meiner Faszination für Schienenfahrzeuge natürlich entgegenkam. Für mich war schon immer klar, dass ich Lokführer und Straßenbahnfahrer werden wollte – und zwar am besten beides gleichzeitig!"

Nachdem Mike Ewald nach einer Lehre zum Industriemechaniker Straßenbahnfahrer in Jena geworden war und sich damit seinen Berufswunsch erfüllt hatte, kam er bald auch seinem anderen, ganz speziellen Traum aus Jugendtagen näher: Seit 2011 ist er bei der Naumburger Straßenbahn angestellt und seit seiner Umschulung zum Verkehrsmeister 2018 hauptverantwortlich dafür, dass die historische Tram tagtäglich in die Gänge kommt und noch viele weitere Jahre Geschichte schreiben darf.

Das Wort "hauptverantwortlich" kann in dem kleinen Betrieb übrigens durchaus wörtlich genommen werden. Während ein Verkehrsmeister im Großbetrieb vornehmlich auf Bildschirme schaut und koordinierende Aufgaben übernimmt, gestaltet sich der Arbeitsalltag von Mike Ewald etwas facettenreicher: Neben Durchsichten an den Fahrzeugen im Werkstattbereich und entsprechenden Reparaturen übernimmt er klassische Fahrdienste, passt Fahr- und Dienstpläne an, schult Personal und ist bei der konzeptionellen Entwicklung der Fahrstrecke und der Triebwagen beteiligt. Letzteres ist im Fall der Naumburger Straßenbahn übrigens nicht mit Modernisierung gleichzusetzen – im Gegenteil.

"Unser Ziel war es immer, die Stadt mithilfe der Straßenbahn als Tourismusstandort zu etablieren. Daher sind wir nicht an technischen Spielereien, sondern eher daran interessiert, historisch zurückzubauen. So kommen bei Renovierungen altehrwürdige Fußbodenbeläge, Vertäfelungen und Sitze zum Einsatz, um den Originalmodellen von beispielsweise 1928 oder 1955 möglichst nahezukommen."

Fortschritt vs. Historie

Aber ganz ohne Fortschritt geht es natürlich auch in Naumburg nicht: "Solange keine optischen Eingriffe vonnöten sind, wollen wir in Sachen technischer Fortschritt gerne auch Zugeständnisse machen. Uns ist es einfach wichtig, den historischen Aspekt so gut es geht zu bewahren."

Dabei kann man sich das Beharren auf altbewährter Technik in puncto Funktionalität sogar durchaus leisten. So sind die alten Naumburger Trams extrem robust und zuverlässig, haben einen Wirkungsgrad von fast 100 Prozent und verbrauchen im Vergleich zu moderneren Modellen teilweise nur halb so viel Energie. Darüber hinaus fallen bei der historischen Naumburger Straßenbahn so gut wie keine Reparaturen an, die über den üblichen Teileverschleiß hinausgehen. Mit einer durchschnittlichen Reisezeit von 15 Kilometern pro gefahrene Stunde hinkt man im deutschlandweiten Vergleich zwar etwas hinterher, aber das fällt kaum ins Gewicht – zumal auf diese Weise mehr Zeit bleibt, den historischen Stadtkern Naumburgs auf sich wirken zu lassen und mit sympathischen Mitfahrenden ins Gespräch zu kommen.

  • Anfahrt nach Naumburg

  • RE 15, RE 16 aus Richtung Halle, Merseburg, Weißenfels und Leipzig
    RB 20 aus Richtung Leipzig
    RB 25 aus Richtung Halle und Merseburg
    RB 77 aus Richtung Wangen

  • 820 aus Richtung Zeitz

  • 606 aus Richtung Bad Kösen
    610, 622 aus Richtung Freyburg

Die Naumburger Straßenbahn verkehrt als Linie 4 alle 30 Minuten vom Bahnhof Naumburg bis zur Haltestelle Salztor und zurück.

Weitere Informationen

Bildquelle: Christian Hüller


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