Geladen und bereit: Innovation Akkuzüge
6. September 2023 | Lesezeit: ca. 4 Minute(n)Was glaubt Ihr: Wie groß ist der Anteil des elektrifizierten Schienennetzes in Deutschland? Also der Teil, auf dem Züge fahren, die mit Strom aus der Oberleitung angetrieben werden? Die Antwort: 54 Prozent. Das heißt, auf knapp der Hälfte aller Schienenkilometer im Bundesgebiet fahren bis heute vor allem Dieselloks. Immerhin: Meist handelt es sich um weniger genutzte Strecken.
Deshalb sieht das Ganze auch etwas anders aus, wenn man statt der Streckenlänge die Verkehrsleistung betrachtet. Hier liegt der Anteil der elektrifizierten Fahrten an allen Zugfahrten deutschlandweit bei 90 Prozent. Im Personennahverkehr sind es sogar 99 Prozent. Dort kommen Dieselloks nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz.
Eine dieser Ausnahmen verläuft zwischen Chemnitz und Leipzig. Eine größtenteils eingleisige Strecke, auf der zwar Oberleitungen geplant sind. Verlegt werden sie aber voraussichtlich erst in fünf Jahren. Und trotzdem wird die Strecke schon eher elektrifiziert – dank hochmoderner Akkuzüge.
Akkuzüge: Baustein für Verkehrswende
Ohne einen leistungsfähigen und umweltfreundlichen Personennahverkehr erreicht Deutschland seine Klimaziele nicht. Ein zentraler Baustein der Verkehrswende ist dabei die Elektrifizierung des Schienennetzes. Zwar sind auch Dieselzüge umweltfreundlicher als Pkws und Lkws, weil ihre Auslastung in der Regel sehr viel höher ist. Aber eine elektrisch angetriebene Bahn übertrifft beides mit Leichtigkeit. Dazu kommt: Mit voranschreitender Energiewende, je mehr Strom am Gesamtmix also grün gewonnen wird aus Windkraftanlagen und durch Photovoltaik, mit Wasserkraft und in Biogasanlagen, umso grüner werden Elektrozüge. Bis sie eines Tages ganz ohne lokale Emissionen fahren.
Das ist aber nicht der einzige Vorteil: Elektrische Schienenfahrzeuge können weitaus schwerere Lasten ziehen im Vergleich zu Dieselloks – sie eignen sich mehr für Cargotransporte. Auch sind sie leiser und perspektiv wirtschaftlicher im Betrieb. Denn grüner Strom wird immer günstiger. Nur: Dazu müssen über den Schienen Oberleitungen verlaufen. Und bis das der Fall ist, dauert es. Das Gute: Elektrifiziert werden kann nicht nur die Strecke. Sondern auch der Zug.
Das Schienennetz unter Strom setzen

Noch ist der Anblick der Akkuzüge selten. Das möchte unter anderem Alstom ändern, ein Vorreiter der Branche. Erst im August stellte der französische Konzern in Chemnitz sein neues Modell vor: Coradia Continental BEMU. BEMU steht für Battery Electric Multiple Unit. Der batteriebetriebene Zug trägt auf seinem Dach eine Reihe Lithium-Ionen-Akkus. Sind sie vollgeladen, schafft er eine Strecke von bis zu 120 Kilometern. Ohne Oberleitung. Der Hersteller verspricht, dass sein neuer Zug eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 160 Kilometer pro Stunde erreicht.
Das Aufladen der Akkus dauert rund 30 Minuten und erfolgt in den Bahnhöfen an eigens vorgesehenen Stationen. Und auch einen Energiespartrick hat der Zug auf Lager: Beim Bremsen gewinnt er über die sogenannte Rekuperation Energie zurück. Befährt er eine Strecke mit Oberleitung, kann er sich sogar unterwegs aufladen. Dafür verbindet er einen Pantografen – umgangssprachlich Stromabnehmer – mit der Oberleitung. So ist der Zug schon heute für die Zukunft gerüstet. Wenn eines Tages alle Strecken elektrifiziert, also überall Oberleitungen verlegt sind, können die Akkus einfach entfernt werden. Dank seines Pantografen fährt der Coradia Continental wie ein konventioneller Zug. Noch ist sein Anblick aber exotisch: Der Coradia Continental BEMU wird der erste Akkuzug sein, der im getakteten Linienverkehr in den neuen Bundesländern zum Einsatz kommt – und ist damit im MDV-Gebiet ein echter Pionier.
Insgesamt elf dieser Züge sollen perspektivisch die veralteten Dieselzüge auf der Strecke zwischen Chemnitz und Leipzig ablösen. Monatlich sind auf der vielgenutzten Strecke bis zu 200.000 Menschen unterwegs. Die sitzen künftig in den 56 Meter langen Alstom-Zügen, die jeweils über 150 Plätze verfügen. Dazu kommen Steh- und Rollstuhlplätze, Fahrradstellplätze und behindertengerechte Waschräume.
Entscheidend für den Erfolg ist aber nicht nur die Größe und Geschwindigkeit, sondern auch die Reichweite der Akkuzüge. In diesem Bereich macht vor allem Stadler von sich reden. Das Schweizer Unternehmen hat schon 2017 den ersten für den Fahrgasteinsatz zugelassenen batterieangetriebenen Zug gebaut. Und seither hat sich viel getan. In den kommenden fünf Jahren möchte Stadler mindestens 113 Fahrzeuge vom Typ Flirt Akku auf die Schiene zu bringen – dabei handelt es sich um ein Weltrekord-Modell. Der batteriebetriebene Flirt konnte bislang die längste Strecke mit nur einer Aufladung fahren: 224 Kilometer.
Bildquellen: Alstom / Christoph Busse, Tag der Schiene
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