Mit dem RufBus unterwegs in Colditz im Landkreis Leipzig
Das kleine Stadtportrait
20. April 2022 | Lesezeit: ca. 8 Minute(n)In unserer neuen Serie stellen wir verschiedene Städte aus dem MDV-Gebiet vor. Dafür setzen sich unsere Autoren in Bus oder Bahn, machen sich ein lebensnahes Bild der Stadt und geben Tipps für alle, die auch einmal dorthin fahren möchten.
Für die erste Folge besuchen wir Colditz. Die 9.000-Einwohner-Stadt liegt idyllisch an der Zwickauer Mulde am Rand des mittelsächsischen Hügellandes. Bekannt ist Colditz vor allem für sein Renaissance-Schoss, das seit 2010 die Landesmusikakademie beherbergt.
1. Haltestelle – Colditz Markt
Ach, ist das schön hier. Wirklich. Es ist diese besondere Ruhe kleinerer Städte, die zusammen mit den alten Häusern ringsum das ergibt, was man Idyll nennt. Orte wie der Marktplatz in Colditz sind deswegen so reizend, weil eben nicht viel passiert. Kein Autolärm, keine Presslufthämmer, nicht dieses Grundrauschen der Großstadt, das einem erst richtig bewusst wird, wenn man ihm entflieht. Sogar das aufgeregte Gezwitscher der Spatzen hört man, bei dem man nie weiß, ob sie sich angeregt unterhalten oder schimpfen.
Hier findet man so ziemlich alles, was man im Alltag braucht. Ein Schuhhaus, einen Brillenladen, zwei Bäcker, ein Schmuckgeschäft, eine Bank, eine Apotheke, einen Obstladen mit rot-glänzenden Äpfeln, Birnen und Orangen auf dem Auslagentisch.
Dazu noch ein Eiscafé, einen Massagesalon, einen Blumenladen mit Veilchen in Reih und Glied und ein Lottogeschäft für das große oder kleine Glück. Aus letzterem kommt ein Junge mit einem Los in der Hand und steckt es zuversichtlich in seine Jackentasche.
Am nördlichen Ende des Platzes fahren die RufBusse ab. Der Name sagt es bereits: Diese fahren immer nur dann, wenn man sie "ruft". Diesen Service gibt es in Colditz seit August 2020, und die Menschen des Städtchens nutzen ihn gut – zum Beispiel zwei Rentnerinnen und der Lotto-Junge, die gerade einsteigen. Freundliche Begrüßung. Bezahlen. Richtung Sportplatz? Gerne doch.
2. Haltestelle – Colditz Sportplatz
Ein RufBus hat keinen zeitlichen Takt, den er erfüllen muss. Der Bus fährt montags bis freitags von 8-12 Uhr und von 14-20 Uhr sowie am Wochenende und an Feiertagen von 9-16 Uhr. Die Passagiere geben den Takt vor, und der ist entspannt. Wir lassen den Markt hinter uns, passieren einen kleinen Platz wie in Frankreich, nur dass nicht die Trikolore auf einem Banner flattert, sondern das Colditzer Königsbanner in Weiß-Rot. Und dann kommt kurz darauf auch schon das Muldentalstadion alias Sportplatz. Hier haben 2.000 Ballsportbegeisterte Platz. Hier feiert der örtliche Fußballverein HFC Colditz seine Siege in der Kreisliga B Muldental/Leipziger Land West. In diesem März immerhin auf Platz 4 mit nur 3 Punkten Abstand zum Tabellenführer. Da darf man sich durchaus Hoffnungen machen.
Wir steigen aus. Haltestelle Sportplatz. Hier steigt man nicht aus, um Schönheit zu genießen, außer der Schönheit des Fußballs. Oder das Rauschen der Zwickauer Mulde, die hinter dem Stadion als breiter Fluss an Colditz vorbeiströmt. Hier herrscht geschäftiges Treiben.
Hier fahren Autos, werden Einkäufe eingeladen, hier wird, das Handy zwischen Kinn und Schulter, die Tüten in der Hand, der Sprössling am anderen Ende der Leitung mit: "Ich hab dich ganz doll lieb, bin gleich daheim!" um Geduld gebeten. Das pure Leben eben.
Ein guter Zeitpunkt, um sich einen Überblick zu verschaffen. Und wo von aus ginge das am besten? Vom Schloss, das eindrucksvoll auf einem Berg über die Stadt wacht. Der Rufbus kommt wie, haha, wie gerufen und auf geht’s.
3. Haltestelle – Schloss
Ein wahrhaft schönes Schloss. Keine verfallende Mittelalterruine oder eine einschüchternde Trutzburg. Nein, das Colditzer Schloss ist als Renaissance-Bau eine Wohltat fürs Auge, ohne es mit der Pracht zu übertreiben.
Wenn man sich zwei Tage vorher anmeldet, kann man sich durchs Schloss führen lassen und hat dabei mehr Ruhe und Zeit als, na, sagen wir im Schloss Neuschwanstein oder Sanssoucis.
Unterhalb der Schlossmauer liegt eine Art Mini-Bauernhof mit gackernden Hühnern und einem Hahn, der kräftig kräht, gurrenden Tauben und einer Katze, die ihre Öhrchen spitzt. Vermutlich hört sie aus der anderen Ecke des Schlosses das Trommeln vom Schlagzeug der Nachwuchsmusiker der Landesakademie. Und weit in der Ferne rauscht die Zwickauer Mulde. Vielleicht hat der Lotto-Junge ja inzwischen sein Los aufgemacht – viel Glück!
Und was sagt… Bürgermeister Robert Zillmann?
Herr Zillmann, welche Wirkung verspricht sich die Stadt vom neuen Rufbus in Colditz?
Die Erwartungen an den Rufbus waren vor allem abgehängte Ortschaften an die Kernstadt anzubinden und für ältere und jüngere Menschen ein flexibles ÖPNV-Angebot zu schaffen. Die ersten Jahre des Betriebs haben diese Erwartungen trotz Corona bestätigt. Wir konnten dank einer sehr engen und intensiven Zusammenarbeit mit dem MDV und der Regionalbus Leipzig auch Haltestellen bedarfsgerecht ergänzen. Aus meiner Sicht ist das Angebot des flexiblen Rufbusses ein zukunftsträchtiges Mittel, um flexiblen und bedarfsgerechten ÖPNV im ländlichen Raum anzubieten.
Welcher Platz in Colditz ist für Sie der schönste?
Colditz hat so viele schöne Plätze und Sehenswürdigkeiten, dass ich hier gar keine Priorisierung vornehmen möchte und kann. Es ist schön, dass der Ortsteil Erlln durch den Rufbus erstmals eine ÖPNV-Anbindung erhalten konnte. Ein schöner Ort direkt an der Mulde. Ab diesem Jahr soll auch unser Waldbad und das Wasserschloss Podelwitz durch den Rufbus angefahren werden, wovon auch der touristische Betrieb profitieren wird. Seit Beginn des Projektes ist auch der Colditzer Wald für Spaziergänger durch die Haltestelle "Waldhaus" einfach erreichbar.
Destinationen in Colditz
Schloss Colditz – Geschichte erleben
Jedes Schloss hat eine Historie. Die von Schloss Colditz ist besonders wechselvoll.
Das Bauwerk, 1046 erstmals als Hochzeitsgeschenk von König Heinrich III. an seine Frau erwähnt, wurde 1430 zerstört, 1464 an die Gattin Friedrichs des Sanftmütigen vererbt, fortan als Jagdschloss genutzt, zwischenzeitlich abgebrannt, 1506 in den Formen der Renaissance wieder aufgebaut und mit einem der ersten Tiergärten auf dem Gebiet des deutschen Kaiserreiches ausgestattet und danach an zahlreiche Adlige weitergereicht.
Ende des 18. Jahrhunderts endete die monarchische Nutzung. Von 1829 bis 1928 diente Schloss Colditz als "Landesanstalt für unheilbar Geisteskranke", 1938 wurde es zur "Heil- und Pflegeanstalt", in der
zahlreiche Menschen Opfer von frühen Euthanasie-Morden durch die Nationalsozialisten wurden. Hieran wird bis heute in einem besonderen Gedenkort im Schloss erinnert.
Im Zweiten Weltkrieg fungierte das Schloss schließlich als Kriegsgefangenenlager für alliierte Offiziere, die dem Nazi-Regime besonders feindlich gegenüberstanden und immer wieder durch spektakuläre Ausbrüche von sich reden machten.
Nach dem Krieg versank das Schloss einige Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf, aus dem es erst nach der Jahrtausendwende wieder erwachte. Seither beherbergt es neben einem Fluchtmuseum eine beeindruckende Schlosskapelle, eine Jugendherberge und die Landesmusikakademie Sachsen.
Museum für Zahnheilkunde – garantiert schmerzfrei
Endlich mal aus purer Neugier und nicht wegen Schmerzen zum Zahnarzt gehen. Diese seltene Gelegenheit bietet das Dentalhistorische Museum Zschadraß, das nach einem Ortsteil von Colditz benannt ist. Das Museum gehört international zu den renommiertesten Museen für Zahnheilkunde, von denen es weltweit allerdings auch nur rund 20 gibt.
Nichtsdestotrotz ist die Kombination aus Museum und Wissenschaftszentrum einzigartig. So umfasst das Gebäude neben dem Museum auch eine Bibliothek, Konferenzräume, ein Technikum für Großgeräte und ein Gästehaus. Im Museum selbst erfährt man allerlei Wissenswertes über das Zahntechnikerhandwerk, Zahnhygiene und die Geschichte der Zahnmedizin.
Das Museum beeindruckt mit über 2.500 bildlichen historischen Darstellungen und einer halben Million Ausstellungsstücken, darunter Zahnprothesen, Gebisse und komplette Zahnarztstühle aus verschiedenen Epochen. So viele schmerzfreie Einblicke in die Zahnheilkunde wie hier gibt es sonst nirgends!
Gastronomie – Nicht adlig, aber lecker
Jedes Schloss braucht einen Wächter und jeder Reisende eine Wirtschaft. Die perfekte Symbiose aus diesen beiden Notwendigkeiten bildet das älteste Gasthaus von Colditz – der Schlosswächter. Direkt am Eingang des Schlosses gelegen empfängt der Schlosswächter seine Gäste mit einem Mix aus Moderne und sächsischer Gemütlichkeit. Die vielfältige Speisekarte überzeugt mit traditionellen und saisonalen Spezialitäten sowie hochwertigen Zutaten von regionalen Produzenten und Direktvermarktern.
Colditz hat noch ein weiteres Schlösschen zu bieten, genauer gesagt ein gastronomisches Waldschlösschen. Am Rande des historischen Tiergartenareals wartet auf Spaziergänger und Spaziergängerinnen, Radfahrende und andere Unternehmungslustige ein urig eingerichtetes Gasthaus mit deftig-bürgerlicher Küche. Bei schönem Wetter empfiehlt sich der gemütliche Biergarten. Und wer es gerne verspielt mag, kann im Kegelbahnzimmer in gediegener Atmosphäre die Kegelkugel rollen lassen.
Freizeit – Wo die Quelle sprudelt und die Mulden zueinanderfinden
Wandern zum Triefsäckchen
Für manche ist diese Wanderung allein schon deshalb reizvoll, weil sie wissen wollen, was man sich unter einem Triefsäckchen vorstellen darf. Auflösung: Anders als das Tränensäckchen ist das Triefsäckchen eine Quelle im historischen Colditzer Tiergartenareal, das seine Gäste mit den Worten "Bei jung und alt bin ich bekannt, Triefsäckchen werd ich genannt" empfängt. Wer also bei der elf Kilometer langen und knapp drei Stunden dauernden Rundwanderung Durst bekommt, wird am Ziel mit kühlem Quellwasser belohnt. Vom Schloss Colditz aus geht es los durch die schöne und abwechslungsreiche Landschaft, vorbei an Highlights wie dem Tiergarten und dem Wasserschloss Podelwitz.
Radtour
Nein, die Muldenvereinigung ist kein eingetragener Verein, sondern schlichtweg der Ort, wo die Zwickauer und die Freiberger Mulde aufeinandertreffen und zur Vereinigten Mulde werden. Das ist schon eine Radtour wert. Auch weil die elf Kilometer und 45 Minuten lange Strecke immer wieder reizvolle Ausblicke auf die mittelsächsische Landschaft und, wie könnte es anders sein, das Schloss Colditz gewährt.
Verbindungsauskünfte für Anreise mit Bus und Bahn nach Colditz sowie zu den einzelnen Colditzer Destinationen gibt es ganz bequem über die App MOOVME.
Bildquellen: Shutterstock, Regionalbus Leipzig
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