Mit dem StadtBus unterwegs in Merseburg in Sachsen-Anhalt
Das kleine Stadtportrait
7. Oktober 2022 | Lesezeit: ca. 8 Minute(n)In dieser Serie stellen wir verschiedene Städte aus dem MDV-Gebiet vor und beleuchten die ein oder andere unbekannte Seite der Stadt. Dafür setzt sich unser Autorenteam in Bus oder Bahn, macht sich ein lebensnahes Bild der Stadt und gibt Tipps für alle, die auch einmal dorthin fahren möchten.
Die dritte Folge hat uns nach Merseburg geführt. Die Stadt mit mehr als 33.000 Einwohner*innen liegt beschaulich zwischen Leipzig und Halle und ist vor allem für seinen Dom und die Merseburger Rabensage bekannt.
Städte sind ja ein wenig wie Menschen. Mal schlafen sie tief und fest und träumen von früher oder von morgen, mal sind sie quirlig, sprudeln über vor Ideen und manchmal dösen sie auch friedlich vor sich hin und freuen sich schlicht des Lebens. Hier und jetzt erleben wir Merseburg in reinster Siesta-Laune und das so weit nördlich der Alpen!
Der Bahnhofsvorplatz, von dem auch die neuen Stadtbuslinien 111 und 112 abfahren, wird milde von Sonne beschienen. Die Blätter der Bäume rascheln im Wind, zwei alte Damen huschen eilig über die Straße, zwei Teenager lassen sich dagegen Zeit. Wir steigen in den Bus der Linie 112 und lassen uns bequem in Richtung Altes Rathaus kutschieren. Die Bahnhofstraße ist eine Allee, die ins Herz der Stadt führt. Vorbei an einer wunderschönen Klinkerbau-Bankfiliale, vorbei an Zweckbauten, vorbei an der Hölle. Oh ja, wirklich, auf dem Straßenschild steht Hölle. Daran merkt man, dass Merseburg eine alte Stadt ist.
Wirklich sehr alt. Ausgrabungen haben zutage gefördert, dass hier bereits in der Neusteinzeit Menschen siedelten. Aber wie zur Hölle kam es zu diesem Straßennamen? Hierfür gibt es mehrere Deutungen. Eine besagt, dass es eigentlich Helle statt Hölle heißen müsste, weil die Frauen hier immer die Wäsche wuschen, bis sie hell war. Die andere, wahrscheinlichere ist, dass im Altdeutschen Höll nichts anderes als Steilhang bedeutete. Die Hölle – in Merseburg hat sie so gar nichts Teuflisches.
Dabei gibt es in der Stadt durchaus Tendenzen zum Mystischen, ja zum Übersinnlichen, aber dazu gleich mehr. Erst einmal steigen wir am Alten Rathaus aus. Ein schönes, stolzes mittelalterliches Gebäude, das Wissbegierige freundlich mit einem Tischchen samt Wasserkaraffe vor der Tür des Bürgerservices begrüßt. Daneben liegt der Entenplan. Das ist der Platz, wo einst, man ahnt es, Flügeltiere verkauft wurden.
Hier und heute steht Mode auf dem Entenplan. Im Schatten der evangelischen St. Maximi-Kirche hat sich am Rand des Platzes eine Menschentraube gebildet. Eine Seniorentraube genaugenommen, die vor einem langen Flusenteppich auf der Straße steht, auf dem ebenso selbstbewusste wie fein gekleidete ältere Damen die neuesten Kreationen vorführen. Eine jüngere Frau mit rosa T-Shirt, Headset und glitzerndem Prinzessinenkrönchen auf dem Kopf erklärt den Zuschauenden enthusiastisch, was die Models da gerade vorführen. Das Publikum klatscht begeistert.
Vom Entenplan zum Dom
Wir lassen die Mode hinter uns und wenden uns der spätgotischen Kirche St. Maximi zu. Am besten man betritt eine Kirche mit geschlossenen Augen. Nein, nicht aus religiösen, sondern aus olfaktorischen Gründen. Diese Mischung aus dem Duft alter Gemäuer, Holzbänke und etwas, was vielleicht mit dem Geheimnis des Glaubens zu tun hat – herrlich! Und das ganz ohne den wunderbaren Weihrauch, den ja nur die Katholiken verwenden. Jetzt einfach nur hinsetzen, die Blicke schweifen und die Gedanken zur Ruhe kommen lassen. Und dann doch nachdenken über alte Städte wie Merseburg, die so alt sind, so reich an Geschichten und Mythen. Und jetzt kommen wir zum Übersinnlichen.
Am besten nehmen wir erstmal den 111er StadtBus vom Alten Rathaus zum über 1000 Jahre alten Merseburger Dom, der eine der größten romantischen Orgeln Deutschlands hat. Wie der geneigte Leser bzw. die geneigte Leserin natürlich längst weiß, sind hier in Merseburg die einzigen in Deutschland erhaltenen heidnischen Zaubersprüche zu finden. Sie wurden von einem Mönch vor mehr als 1000 Jahren verwahrt und gewähren heute einen faszinierenden Blick auf das Denken der vorchristlichen Zeit.
Eine kleine Kostprobe:
biguolen uuodan so he uuola conda
sosebenrenki soseblutrenki soselidi
renki ben zibena bluot zibluoda
lid zigeliden sosegelimida sin
Wen seine sonst profunden Kenntnisse in Althochdeutsch gerade im Stich gelassen haben:
Da besang ihn Wodan, so wie er es gut verstand
Wenn Knochenrenkung, wenn Blutrenkung,
wenn Gelenkrenkung
Knochen zu Knochen,
Blut zu Blut, Glied zu Glied!
So seien sie zusammengefügt!
Es handelt sich bei diesen magischen Zeilen um einen Zauberspruch zur Heilung von Fußverletzungen bei Reittieren. Was heute etwas skurril klingt, war seinerzeit freilich lebenswichtig, denn ein lahmes Tier konnte den Ruin der Familie oder zumindest den Tod des Tieres in einer gottverlassenen Gegend bedeuten.
Vom Schlossgarten zum Raben und zurück
Nach dem Besuch des Doms (es roch auch hier herrlich nach Weihrauch) fahren wir mit dem 112er StadtBus in Richtung Schlosspark. Man passiert dabei das Merseburger Schloss, welches das wahrscheinlich am schönsten gelegene Landratsamt Deutschlands beherbergt. Hier steht wiederum eine Voliere, die von einem steinernen Raben mit goldenem Ring gekrönt wird.
Der Sage nach ließ im 15. Jahrhundert der Merseburger Bischof einen treuen Diener hinrichten, weil er dachte, dieser hätte ihm seinen Ring gestohlen. Ein fataler Irrtum.
Es stellte sich heraus, dass der Dieb ein Rabe war. Aus Scham über sein Fehlurteil ließ der Bischof einen Raben gefangen nehmen und in ebendieser Voliere als stete Mahnung vor vorschnellen Urteilen ausstellen.
Ob der inhaftierte Rabe der Täter war, ließ sich zwar nicht mehr sicher ermitteln, der Diener wäre ob so viel Bußfertigkeit jedoch sicher gerührt gewesen (wenn er nicht vorher geköpft worden wäre).
Nach diesem beeindruckenden Zeugnis menschlicher Reue lässt es sich herrlich im Schlosspark auf einer Bank mit Blick auf die Saale entspannen, bevor man den StadtBus zurück zum Hauptbahnhof nimmt. Dabei lauscht man dem Wind, dem Lachen der Kinder, die auf dem Rasen spielen, dem Summen der Bienen, einem bellenden Hund und, ja, tatsächlich, dem fernen, fernen Ruf eines Raben.
Destinationen in Merseburg
Merseburger Dom – Sehen. Hören. Staunen.
Einfach zauberhaft, dieser Dom! Er ist nicht nur einer der bedeutendsten Kathedralbauten Deutschlands, er war auch der Lieblingsort von Kaiser Heinrich II. und seiner Gemahlin Kunigunde. Kennt Ihr nicht? Nicht, schlimm, ist ja auch schon 1000 Jahre her. Damals legten die beiden die Grundsteine zum Dom und waren auch ganz allgemein emsige Förderer von Sakralbauten, was nicht unerheblich zur späteren Heiligsprechung Heinrichs II. beigetragen haben dürfte. Dem Dom und der Stadt hat es jedenfalls nicht geschadet. Bekannt wurde das Bistum Merseburg nicht zuletzt durch die weltberühmte Chronik des Bischofs Thietmar und den Domschatz mit zahlreichen Skulpturen, Epitaphe, Gemälden und Handschriften, darunter die berühmten Merseburger Zaubersprüche. Zauberhaft ist auch das Klangerlebnis der Merseburger Ladegastorgel, die zu den größten und klangschönsten Orgeln Deutschlands zählt.
Schloss Merseburg – Die Weisheit des Raben
Im Mittelalter kümmerten sich Bischöfe beileibe nicht nur um religiöse Belange, sie waren oftmals zugleich umtriebige Fürsten und Auftraggeber für Burgen und Schlösser. So auch Thilo von Trotha. Im 13. Jahrhundert ließ er das Schloss Merseburg errichten und so steht es noch heute stolz da und begeistert seine Besucher*innen als immer wieder erneuerter Bau der Spätrenaissance. Neben dem Kulturhistorischen Museum und dem wunderschönen Schlosspark mit Blick auf die Saale hat das Schloss, in dem sich auch die Kreisverwaltung des Saalekreises befindet, einen weiteren Hingucker: den von Bischof Thilo gestifteten Rabenkäfig mit seiner ebenso schaurigen wie lehrreichen Legende.
Gastronomie: Hier kommt – Die Sonne
Die liebe Sonne. In Merseburg macht sie nicht nur schön warm, sondern auch schön satt. Die Rede ist hierbei natürlich nicht von der Sonne am Himmel, sondern vom Restaurant "Die Sonne" im Herzen von Merseburg am Marktplatz. Dort erwarten den hungrigen oder auch durstigen Gast hochwertige mediterrane Spezialitäten, ein sommerliches Eiscafé und eine Bar mit ausgesuchten Drinks.
Freizeit: Der Saale-Radwanderweg
Sich den Fahrtwind sachte um die Nase wehen und dabei den Blick über eine herrliche Wiesen- und Auenlandschaft schweifen lassen. Dafür ist der Saale-Radwanderweg, der auf einer Länge von 6,5 km überwiegend an der Saale entlangführt, bestens geeignet. Von hier aus sieht man auch kulturhistorische Sehenswürdigkeiten wie den Schlossgarten, den Dom und die Neumarktkirche. Wer zwischendurch einen Schluck Wasser genießen will, kann an drei Quellen verweilen: der Eichhornquelle, der Arnimsruhquelle und der Schlossquelle. Alle drei sind gleichermaßen erfrischend.
Von Halle um den Geiseltalsee nach Merseburg
Entlang zweier wunderschöner Radwege führt diese Tour von Merseburg bis nach Halle. Über rund 69 Kilometer geht es von Merseburg aus einmal rund um den Geiseltalsee. Auf jeden Fall sollte man ausreichend Zeit für einen Bummel in Merseburg und einen Stopp am See einplanen. Unterwegs sieht man nicht nur malerische Uferwege, sondern auch Reifferts Weinberg, der direkt am Nordufer liegt. Auf der Strecke laden idyllischen Rastplätze direkt an der Saale immer wieder zum Verweilen ein.
Anreise nach Merseburg
RE 16, RE 18, RB 25 aus Richtung Halle, Weißenfels, Naumburg
RB 78 aus Querfurt
PlusBus 131 aus Leipzig, 724 aus Schkeuditz, 728 aus Querfurt
Tram 5 aus Halle/Bad Dürrenberg
Nutze unsere Verbindungsauskunft für die Planung Deiner Anreise nach Merseburg.
Bildquellen: Shutterstock
Weitere Artikel
Stöbere im MDV-Magazin für weitere interessante Artikel: