Nordsachsen Mobil – Vereint Richtung Technologiewende
14. November 2022 | Lesezeit: ca. 9 Minute(n)Holger Klemens ist Geschäftsführer der Nordsachsen Mobil GmbH (NOMO). Zu Beginn des Jahres ist diese aus der Omnibus-Verkehrsgesellschaft mbH "Heideland" und der Omnibusverkehr Leupold hervorgegangen. Klemens erklärt, welche Herausforderungen eine solche Fusion mit sich bringt und wie er mit dem Unternehmen NOMO in die Zukunft starten will.
Im Januar dieses Jahres ist die OVH mit der Leupold GmbH zur NOMO verschmolzen. Warum kam es dazu?
Familie Leupold hat 2019 den Omnibusverkehr Leupold zum Verkauf angeboten. Da hat der Landkreis Nordsachsen die Chance genutzt, den kreiseigenen Anteil am öffentlichen Nahverkehr zu stärken und hat das Unternehmen gekauft. Später wurde dann aus zwei kommunalen Unternehmen eins gemacht. Aus dieser Union ist die Nordsachsen Mobil GmbH mit den drei Standorten Oschatz, Torgau und Krostitz entstanden.
So ein Schritt bringt doch sicher einige Herausforderungen, aber auch Chancen mit sich. Können Sie uns beide Seiten kurz skizzieren?
Nach der Fusion konnten wir unsere internen Strukturen optimieren. Wir sind jetzt besser aufgestellt, wenn es um die Planung von Busverkehren im gesamten Landkreis Nordsachsen geht. Wir können vernetzter planen und gestalten. Die drei eigenen Standorte liegen strategisch perfekt, um alle Anforderungen erfüllen zu können. Zur Komplettierung der Busleistungen arbeiten wir mit sechs weiteren privaten Busunternehmen zusammen.
Der Zusammenschluss brachte Veränderungen für alle mit. Die Firma Leupold war ein privates Unternehmen. Nach der Umstellung haben wir die Arbeitsverträge angepasst und die Löhne und Arbeitszeiten auf kommunales Niveau gehoben. Die Mitarbeiter*innen werden jetzt nach Tarif bezahlt und kommen in den Genuss zusätzlicher Sozialleistungen.
Das klingt alles sehr positiv. Gibt es auch Barrieren?
Die Herausforderungen liegen manchmal in den kleinen Dingen. Beispielsweise kennen sich die Fahrer*innen aus Torgau und Oschatz schon viele Jahre. Da ist es für die Krostitzer manchmal schwer, gehört und gesehen zu werden. Außerdem steht in den Arbeitsverträgen, dass alle Mitarbeiter*innen auch an anderen Standorten der NOMO eingesetzt werden können. Das braucht Zeit, bis sich alle daran gewöhnt haben.
Wie fällt Ihre Zwischenbilanz nach neun Monaten NOMO zusammenfassend aus?
Die ist auf jeden Fall gut. Wir können zentraler planen als vorher und schneller auf Veränderungen reagieren. Wir haben in Krostitz eine zentrale Leitstelle für den ganzen Landkreis eingerichtet. Von hier aus überwachen und koordinieren wir alle Fahrzeuge und Linien. Das gilt für unsere Fahrzeuge genauso wie für die Busse der sechs angeschlossenen privaten Unternehmen.
Herr Klemens, Sie arbeiten schon lange in der Mobilitätsbranche. Was hat Sie für den Posten des Geschäftsführers bei NOMO qualifiziert?
Ich arbeite seit über 20 Jahren im ÖPNV. Meine ersten Erfahrungen habe ich einerseits im Marketing und Vertrieb der Leipziger Verkehrsbetriebe und andererseits bei der Eisenbahn, genauer gesagt bei Veolia gesammelt. Vor drei Jahren habe ich die Geschäftsführung der OVH übernommen. Da war es nur logisch, mir nach der Fusion auch den Hut bei NOMO aufzusetzen. Ich bin sehr gut vernetzt in Mitteldeutschland und habe viele berufliche Kontakte, vor allem zu den Kolleg*innen innerhalb des MDV.
Sind Sie selbst aus der Region?
Ich wohne in Leipzig und pendele jeden Tag. Ich bin mindestens einmal in der Woche an jedem Standort. Seit wir viel mehr mobil arbeiten, sind diese Wechsel auch problemlos möglich.
Corona, der Krieg in der Ukraine und der damit verbundene Anstieg der Energiekosten, das 9-Euro-Ticket. Wie ist es, ein Unternehmen wie das Ihre durch politisch und gesellschaftlich herausfordernde Zeiten wie diese zu führen?
Ich habe 2019 bei der OVH angefangen und hatte ein paar Monate Zeit, um mich krisenfrei einzuarbeiten. Seit März 2020 bis heute sind wir gefühlt permanent in einer angespannten Situation und versuchen das Beste daraus zu machen. Wir sind "mitten im Leben" und müssen uns dementsprechend schnell mit allen beteiligten Akteuren arrangieren. Am Anfang der Corona-Pandemie waren die Risiken für alle schwer einschätzbar und die Maßnahmen zur Eindämmung wirkten manchmal ein wenig hysterisch. Alle mussten sich erst einmal darauf einstellen. Mittlerweile ist der Umgang damit viel pragmatischer geworden.
Das Thema Energie beschäftigt uns sehr. Nicht nur die stark gestiegenen Dieselpreise, sondern auch die hohen Material- und Heizkosten lassen sich nur schwer kompensieren.
Das 9-Euro-Ticket war für die Branche ein zweischneidiges Schwert. Einerseits war es eine Chance, noch mehr Menschen für den ÖPNV zu gewinnen. Wir hatten im Schnitt circa 18 % mehr Fahrgäste, haben in dieser Zeit aber nicht einen Euro mehr eingenommen. Wir mussten aber auch nicht, wie die Kolleg*innen größerer Verkehrsunternehmen zusätzliches Personal und Fahrzeuge einsetzen.
Kurze Zwischenfrage: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten momentan bei der NOMO? Und bilden Sie auch aus?
Bei der NOMO arbeiten 130 Mitarbeiter*innen, zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen. Ja, wir bilden aus. Momentan haben wir vier Azubis und wollen natürlich noch mehr. Wie alle Unternehmen der Branche haben auch wir das Problem, dass die Belegschaft immer älter wird und die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre bald in Rente gehen. Deshalb war es mir sehr wichtig, frühzeitig qualifizierten Nachwuchs auszubilden. Dafür werben wir unter anderem in den sozialen Medien und auf Fachmessen.
Die NOMO steckt ja zusätzlich noch in einer Liniennetzreform. Wie sieht die aus?
In einem ersten Schritt haben wir die Liniennetzreform schon im Umkreis Delitzsch eingeführt. Dabei nehmen wir den Flickenteppich an Linien, den es bisher dort gab, und fassen ihn unter einem großen Netzplan zusammen.
Und wie kommt das bei den Fahrgästen an?
Das wird gut angenommen. Bei so gravierenden Reformen ist es aber auch normal, dass hin und wieder ein Veto kommt. Beispielsweise sind einige Schulen noch nicht ganz glücklich mit der Umstellung. Das liegt dann daran, dass bestimmte Übergänge noch nicht optimal funktionieren oder Anschlüsse durch aktuelle Baustellen und Umleitungen zu knapp sind. Das versuchen wir zu berücksichtigen und alle Akteure einzubinden.
Wie steht es um das Rufbussystem im Landkreis Nordsachsen? Konnte da das Angebot weiter ausgebaut werden?
Wir wollen in Zukunft verstärkt auf ein gut ausgebautes Rufbussystem bauen. Wie der Name schon sagt, ruft der Fahrgast uns mit einem gewissen Vorlauf an und wir schicken innerhalb eines festgesetzten Zeitfensters ein Fahrzeug vorbei.
Es ist in vielen dünn besiedelten Regionen im Landkreis wirtschaftlicher, mit kleinen Einheiten zu fahren, zum Beispiel mit Kleinbussen oder sogar Taxis. Flexiblere Verkehrslösungen bedürfen aber auch flexiblerer Finanzierungsmöglichkeiten. Daran arbeiten wir zurzeit.
Soll das in Zukunft auch über eine App gesteuert werden?
Das funktioniert heute schon teilweise über die MOOVME-App. Vor allem an den Stadträndern wird es schon genutzt. Das wollen wir noch weiter ausbauen.
Bieten Sie auch ABO-Flex-Produkte an? Wie funktioniert das und was erhoffen Sie sich davon?
Wir haben damit noch keine Erfahrungen gemacht, weil wir das erst beim letzten Tarifwechsel zum ersten August eingeführt haben. Durch das 9-Euro-Ticket hat sich alles dann nochmal verschoben und wir konnten erst im September damit starten.
Im Grunde funktioniert es wie eine BahnCard. Sie zahlen einen Grundbetrag und können einzelne Fahrten billiger kaufen.
Wir erhoffen uns davon, neue Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen. Für Menschen, die beispielsweise im Homeoffice arbeiten und dadurch nicht jeden Tag zum Arbeitsplatz pendeln, lohnt sich manchmal ein Monatsticket nicht mehr. Die sind mit einer ABO-Flex-Variante wesentlich flexibler und damit auch günstiger unterwegs. Alle unsere Tickets können über die MOOVME-App gekauft werden.
Mit dem Start von NOMO haben Sie auch eine neue Webseite aufgebaut. Sieht frech und frisch aus. Was steckt dahinter?
Wir wollten mit dem Neustart auch eine zeitgemäße Webseite präsentieren. Die ist wesentlich nutzerfreundlicher als die Seiten der beiden alten Unternehmen. Wir haben mit der Oschatzer Agentur Maikirschen zusammengearbeitet. Mir war es wichtig, dafür vor allem nach kreativen Köpfen aus der Region zu schauen.
NOMO verantwortet mit FLASH auch ein Projekt zum automatisierten Fahren. Wie läuft der Pilotbetrieb?
Der automatisierte FLASH hat diese Strecke jetzt voll verinnerlicht und bewältigt dabei alle Herausforderungen, die ein Bus im Stadtverkehr bewältigen muss – inkl. Ampelanlagen, Kreisverkehr, Bundesstraße und Linksabbiegen. Da fehlt eigentlich nur noch das Fahren auf der Autobahn.
FLASH pendelt in der kühleren Jahreszeit jeweils Freitag bis Sonntag im Pilotbetrieb zwischen dem S-Bahnhof Rackwitz und der Schladitzer Bucht. Auch hier sind wir wieder beim Thema Flexibilität, denn eine Reihe von Fahrten sind als Rufbusangebot ausgelegt.
Und fährt der FLASH wirklich allein?
Ja, er fährt allein, aber natürlich ist da noch eine Fahrerin oder ein Fahrer hinter dem Lenkrad, die oder der im Bedarfsfall eingreifen kann.
Und wie wird das Angebot angenommen?
FLASH wurde sehr gut angenommen. Vor allem die Badegäste des Schladitzer Sees haben den Shuttle über die Sommermonate genutzt. Für uns war es eine enorme Chance, auf dem Gebiet des automatisierten Fahrens erste Erfahrungen zu sammeln. Ich bin mir sehr sicher, dass das die Zukunft ist.
Apropos Zukunft. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des ÖPNV oder des Verkehrs an sich?
Ich bin mir sicher, dass der Verkehr und speziell der ÖPNV ein wichtiger Hebel in Sachen Klimaschutz ist. Im Moment wird er dafür aber noch zu stiefmütterlich behandelt. Ich würde mir wünschen, dass die Bedeutung eines gut funktionierenden öffentlichen Personennahverkehrs in Politik und Gesellschaft den Anklang findet, die er als wichtiger Player der Zukunft verdient hat.
Im Grunde erleben wir gerade einen Technologiewechsel in der Branche. Wir stellen nicht nur auf emissionsfreie Antriebe um, sondern müssen auch die komplette Infrastruktur anpassen und umbauen. Bei den momentanen Förderungen von Bund und Land kann sich das aber kein Verkehrsunternehmen leisten. Da würde ich mir mehr Unterstützung der Politik wünschen.
Und wie sieht das Jahr 2030 bei der NOMO aus?
In den Städten wie Oschatz oder Torgau fahren wir dann sicher komplett elektrisch. Über Land, mit Umläufen über 200 Kilometer, werden sicher noch Dieselfahrzeuge mit vielleicht einer Euro-Abgasnorm 7 in Betrieb sein. Unser Netz wird dann wie eine Fischgräte aufgebaut sein. Mit einem starken Mix in den Zentren und kleinen mobilen Einheiten in den Randbereichen.
Haben Sie heute schon elektrische Fahrzeuge im Einsatz?
Im Moment noch nicht. Wir erarbeiten gerade mit dem Fraunhofer Institut in Dresden eine Übersicht unserer Infrastruktur von den Liniennetzen bis zu den Bushöfen vor Ort. Auf der Grundlage können wir Anfang nächsten Jahres eine Übersicht vorlegen, die genau belegt, was uns die Umstellung zur Einhaltung der neuen Auflagen kosten wird. Mit diesem Idealentwurf und den realistischen Zahlen können wir dann Förderungen beantragen und in die Zukunft planen.
Arbeiten Sie da mit anderen Verkehrsunternehmen zusammen?
Ja, natürlich schauen wir den Kolleg*innen anderer Unternehmen im MDV über die Schulter. Ich komme von den Leipziger Verkehrsbetrieben und verfolge deren Umstellung auf Elektro-Busse sehr genau. Da profitieren wir von den Erfahrungen der anderen.
Bildquellen: Bertram Bölkow, Christian Modla, Thomas Malik für NOMO
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