ÖPNV für eine neue Generation im MDV weiter ausbauen

2. August 2021 | Lesezeit: ca. 6 Minute(n)
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Anbindung der ländlichen Region an die Zentren, nachhaltige Konzepte und digitale Ideen – zum 20-jährigen Jubiläum haben die Unternehmen im MDV ganz neue Herausforderungen. Wie man sie in den Griff bekommen kann, erklärt MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann. 

Herr Lehmann, Sie wohnen selbst im Landkreis Leipzig. Daher kennen Sie das Thema der ÖPNV-Anbindung an die Zentren wie Leipzig und Halle im MDV gut. Gibt es da Stellschrauben, mit denen man den Verkehr mit Bus und Bahn zeitnah noch besser gestalten kann?

Gerade in den letzten zwei bis vier Jahren hat sich in Sachen Anbindung ja unheimlich viel getan. Aber es gibt immer noch einige Stellschrauben – und zwar dort, wo es berechtigte Erwartungen von Einwohner*innen gibt: Der Bus oder der Zug sollte mindestens jede Stunde kommen und die Umstiegszeit zu anderen Bussen oder der Bahn maximal 5 bis 10 Minuten dauern. 

Und wo liegen im Verbundgebiet die Schwachstellen, weshalb die MDV-Unternehmen noch nicht so weit sind?

Wir haben im MDV-Gebiet ein gut ausgebautes Schienennetz, leistungsstarke Angebote in Halle und Leipzig und in den Landkreisen den Schritt zum Ausbau der Busnetze begonnen. Jetzt bräuchte es eine noch bessere Vernetzung der ländlichen Räume, die nicht an die Schiene angedockt sind. Sprich: Wir müssen mehr vertaktete und flexiblere Busangebote schaffen sowie miteinander vernetzen.

Woran hängt es derzeit noch?

Der gestalterische Wille bei den Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen ist absolut da. Der Engpass sind die Finanzen und zum Teil fehlendes Personal, um diesen nächsten Schritt möglich zu machen.

Bräuchte es nicht auch noch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung, Bus und Bahn als alternatives Mobilitätsangebot zu nutzen?

Der emotionale Zugang zu Bahn und Bus ist natürlich wesentlich. Manche fragen sich vielleicht: Ist das Ganze verlässlich? Oder: Haben die nicht immer Verspätung? Das sind weitgehend unbegründete Bedenken. Klar, andere wollen einfach auch lieber Ihr Auto zeigen statt in Bus und Bahn zu sitzen.

Kann die Politik hier unterstützen?

Wir müssen das mit der Politik intensiv beackern. Dass das klappt, hat das S-Bahn-System gezeigt. Früher gab es dafür mehr Gegner*innen als Befürworter*innen. Heute ruft jede*r Bürgermeister*in: "Ich möchte ans mitteldeutsche S-Bahnnetz angebunden werden!" Denn ein vernetzter ÖPNV ist ein Garant für Wachstum und ausreichend flexible Mobilität für Schüler*innen bis Pendler*innen. Diese Erkenntnis und diesen Wandel müssen wir gemeinsam und breiter aufgreifen, um die Angebotserweiterung für den Nahverkehr zu ermöglichen.

Wäre nicht auch der Aspekt der Nachhaltigkeit mehr denn je ein starkes Argument pro Busverkehr?

Aus meiner Sicht ist es sogar das stärkste Argument. Für jede*n sind die Auswirkungen des Klimas sichtbar: verheerende Sturzfluten in NRW und Rheinland-Pfalz, Hochwasser in Sachsen und Bayern, zugleich unfassbare Hitzerekorde in zahlreichen Ländern… da wird noch vieles auf uns zukommen. Viele Menschen sind aber noch zu träge, um etwas bewegen zu wollen. Ich nehme mich selbst da auch nicht heraus und müsste meinen Lebenswandel viel schneller und stärker umstellen. Es braucht deshalb einen gemeinsamen Ruck. Durch die Politik. Durch die junge Generation, die uns Eltern und Ältere berechtigt unter Druck setzen. Und durch Wirtschaftsunternehmen, die das mitgestalten wollen.

Kommt deshalb der flächendeckende Einsatz von E-Bussen jetzt ganz schnell?

Ich bin da skeptisch. Die Verkehrsunternehmen brauchen dafür zusätzliches Geld, um die deutlich höheren Investitionen zu finanzieren. Doch sie fragen sich: Investiere ich das Geld in eine Flotte, die weniger CO2 produziert? Oder investiere ich in die bestehenden Fahrzeugtypen? Nutze ich lieber diese bestehenden Busse, fahre mit ihnen häufiger und schaue, dass dafür weniger Autos vom Land in die Stadt fahren? Was trägt mehr und schneller zur Nachhaltigkeit bei? Diese Grundsatzfrage kam mir im politischen Umfeld zu kurz. Dort gab man die Nullemission als Ziel aus anstatt erst einmal umfangreicher in den Ausbau des Verkehrssystems zu investieren. Klar, viele E-Autos sind wirtschaftspolitisch erwünscht. Aber sie lösen unsere Verkehrsprobleme nicht, sondern sind nur eine Teillösung, um dem Klimawandel durch eine echte Verkehrswende zu begegnen.

Klingt, als würden Sie hier eine gewisse Kurzsichtigkeit erkennen. 

Eher eine unpassende politische Glückseligkeit. Man ruft das Zeitalter von E-Mobilität und Wasserstoff aus und alles ist gut. Das wirkt auf mich, als wolle man mit diesem Tunnelblick das eigene schlechte Gewissen beruhigen. Es ist aber ein Unding, dass wir ständig neue Autos produzieren und dafür Rohstoffe verbrauchen. Denn die Antriebswende kann nur ein Teil der Verkehrswende sein.

Wo sehen Sie stattdessen Ansatzpunkte?

Wir brauchen viel mehr nachhaltige Lösungen für jeden Menschen und jede Mobilitätssituation. Dann verringern wir den CO2-Ausstoß durch PKWs. Wir müssen ebenso eine ehrliche Diskussion darüber führen, wie viel Geld es dafür braucht und dass es nicht allein von den Kommunen und vom Fahrgast bezahlt werden kann. Und es muss uns als Branche gelingen, dass die Menschen den ÖPNV positiver und emotionaler als Teil ihrer Mobilitätsmöglichkeiten wahrnehmen.

Kann da die Digitalisierung helfen?

Ganz bestimmt. Neue Apps wie zum Beispiel MOOVME oder die weiteren ÖPNV-Apps im MDV-Raum schaffen es, ein gemeinsames Angebot mit Infos und Ticketverkauf in einer Applösung zu verschmelzen. Und digitale Lösungen können dabei helfen, dass wir unsere Mobilität noch besser abstimmen und eine höhere Verfügbarkeit sichern. Das klingt jetzt sehr theoretisch. Ganz praktisch würde das heißen: Ich fahre abends mit der S-Bahn raus aus Leipzig und müsste bei meiner Haltestelle noch ein paar Kilometer mit dem Bus fahren. Es fährt aber kein Bus. Mit einer App wie zum Beispiel MOOVME habe ich mir deshalb einen flexiblen Rufbus kurzfristig bestellt, der dort in einem bestimmten Zeitfenster ankommt und mich dann nach Hause fährt.

Klingt nach Zukunftsmusik…

Wird aber in der zweiten Hälfte dieses Jahres noch Realität. Versprochen.

Wer von Digitalisierung im Verkehr spricht, denkt häufig an autonomes Fahren. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Automatisiertes und autonomes Fahren wird neben bekannten Lösungen auch irgendwann selbstverständlicher Teil der Mobilität sein. In Halle werden Überlegungen zu einer automatisierten Tram angestellt und in Leipzig sowie dem Landkreis Nordsachsen gibt es mit ABSOLUT und FLASH Projekte für einen autonomen Busverkehr. Das sind interessante Lösungen, um mehr Mobilität zu ermöglichen. Das dauert aber gewiss noch eine Busfahrer*innen-Generation – die Grundlagen legen die Partner im MDV aber schon heute.

Nun feiert der MDV 20 Jahre. Worin unterscheiden sich die ersten zwei Dekaden von den kommenden 20 Jahren?

Ab 2001 mussten wir gemeinsam mit 20 Verkehrsunternehmen und sieben Gebietskörperschaften ein integriertes Nahverkehrssystem aufbauen, um die regionale Wirtschaft und das Lebensgefühl vor Ort zu stärken. Die nächsten 20 Jahre richten die Partner im MDV und wir als Geschäftsstelle unsere Kraft auf die Umsetzung der Verkehrswende – mit fachlichen und finanziellen Lösungen sowie dem Ziel, die Menschen noch mehr für eine vernetzte, nachhaltigere Mobilität ohne das eigene Auto zu begeistern. Wir stehen hier für die kommende Generation einfach in der Pflicht, das hinzubekommen. Klingt vielleicht abgedroschen, ist aber so notwendig. 

Fotoquelle: Christian Hüller


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