Unterwegs in Wurzen: Ein Stadtporträt
13. Dezember 2022 | Lesezeit: ca. 6 Minute(n)In dieser Serie stellen wir verschiedene Städte aus dem MDV-Gebiet vor, wobei wir ein paar echte Geheimtipps aus dem Ärmel schütteln. Dafür setzt sich unser Autorenteam in Bus oder Bahn, macht sich vor Ort ein Bild und setzt dieses in spannende Tipps um – für alle, die die schönsten Fleckchen auf eigene Faust erkunden wollen. In dieser Folge hat es uns nach Wurzen verschlagen. Die kleine Stadt nahe Leipzig hat einen imposanten Dom und ist vor allem als Geburtsstadt des Dichters Joachim Ringelnatz bekannt.
Das kleine Stadtporträt
Wurzen. Das ist ein kleines, niedliches Städtchen an der Mulde, gut 15 Zugminuten von der Messemetropole Leipzig entfernt. Die Kleinstadt wird vor allem mit einem weltberühmten Dichter, Maler und Rezitator assoziiert – nämlich Hans Gustav Bötticher alias Joachim Ringelnatz. Der humorvolle Lyriker, der dank seiner wortverspielten Verse in einer Reihe mit Wilhelm Busch oder Heinz Erhardt genannt werden kann, wurde 1883 in Wurzen geboren und hat hier seine ersten fünf Lebensjahre verbracht. Aber auch Napoleon wird mit Wurzen in Verbindung gebracht. Der Heeresführer verbrachte hier die Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1813, unmittelbar vor der Völkerschlacht bei Leipzig, und zertrümmerte während seines Aufenthalts eine heute berühmte Tasse Kakao. Johann Wolfgang von Goethe hingegen trat in Wurzen weniger impulsiv auf: Der Meisterdichter musste auf seinem Weg von Dresden nach Leipzig in Wurzen lange auf eine Fähre warten, die ihn über die Mulde bringen sollte. Die Wartezeit nutzte er, um ganz entspannt am "Faust" weiterzuarbeiten.
Apropos Wartezeit: Angesichts der Größe von Wurzen kann man ganz entspannt die vor Ort verkehrenden Busse nutzen. Die örtlichen Sehenswürdigkeiten und landschaftlichen Highlights lassen sich aber auch prima zu Fuß erkunden – wir haben den Selbstversuch gemacht! Vom Bahnhof aus führt ein kleiner Park in Richtung Innenstadt, in dem u. a. ein kleines "Pesthäuschen" besichtigt werden kann, das mit Reimen an die mittelalterliche Seuchenzeit erinnert. Wer sich für Ringelnatz‘ Reime interessiert, für den lohnt sich ein Abstecher zum Geburtshaus des Dichters.
Für uns geht es jetzt allerdings erst einmal weiter, vorbei an der Stadtkirche St. Wenceslai mit ihrer noch komplett erhaltenen Türmerwohnung über den Wurzener Markt bis zum Dom St. Marien. Ein imposantes Bauwerk und Teil des Gebäudekomplexes, zu dem auch Schloss Wurzen gehört. Dieses wiederum ist eines der ältesten Schlösser im deutschsprachigen Raum und dient heute als Hotelrestaurant im historischen Ambiente.
Kulturhistorisches Museum Wurzen
Historisch wird es auch im Kulturhistorischen Museum, eine Fußminute vom Schloss entfernt. Hier können zahlreiche Zeitzeugnisse bestaunt werden, die das Museum entweder im Kunsthandel erworben hat oder die von Wurzener Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt wurden. In der Dauerausstellung sind in insgesamt neun Themenräumen diverse Alltagsobjekte, Waffen oder Kunstwerke verschiedener Epochen zu sehen – von der Ur- und Frühgeschichte über die Wurzener Vergangenheit als bischöfliche Residenzstadt bis hin zur Zeit von Ringelnatz oder Napoleon. Ach ja, um die Sache mit der Tasse noch einmal aufzugreifen: Eine Nacht vor besagter Völkerschlacht bei Leipzig nächtigte der Kriegsherr samt Gefolge im Wohnhaus eines Pelzhändlers namens Gottlieb Sommer in der Domgasse 2. Also genau dort, wo sich heute das Kulturhistorische Museum befindet. Nachdem sich Napoleon am Morgen vor der Abreise eine Tasse Kakao genehmigt hatte, warf er das Porzellan hinter sich zu Boden – Scherben brächten schließlich Glück. Für den Herbergsvater Sommer, dem damals reichsten Bürger der Stadt, ging die Zusammenkunft jedoch alles andere als glücklich aus: Napoleons Soldaten plünderten sein Pelzlager, Sommer ging pleite und kehrte Wurzen für immer den Rücken.
Ein besseres Schicksal war der Wurzener Familie Bötticher beschieden. In Wurzen gab es im 19. Jahrhundert eine sehr renommierte Tapetenfabrik, aus der später eine ebenfalls erfolgreiche Teppichwarenfabrik hervorging. Chefmusterzeichner für die Teppiche war ein gewisser Georg Bötticher – Vater von Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz. Das Kulturhistorische Museum Wurzen hat nicht nur einige hübsch verschnörkelte Teppichmuster Georgs im Fundus, sondern vor allem zahlreiche Werke des Malers und Dichters Ringelnatz. So gibt es einen ganzen Raum voller Erstausgaben seines dichterischen Werkes, Fotografien und eine große Sammlung seiner Gemälde zu bestaunen.
Destinationen
Aber Wurzen hat natürlich noch viel mehr zu bieten! Im Folgenden geben wir einen kleinen Überblick über weitere lohnenswerte Ausflugsziele.
Ringelnatz-Kunstpfad
Wer nach dem Besuch im Kulturhistorischen Museum weiter auf Ringelnatz‘ Spuren wandeln möchte, der kann das auf dem sogenannten Ringelnatz-Kunstpfad tun. Der in seiner Art deutschlandweit einzigartige Rundgang führt anhand von 13 Stelen, die an bedeutenden Wurzener Sehenswürdigkeiten platziert wurden, durch die Innenstadt. Jede Stele trägt das Konterfei des Dichters, einen humorigen oder nachdenklichen Vers aus seinem Werk sowie thematisch dazu passende Kunstwerke. Zu jeder Stele gibt es einen QR-Code, hinter dem sich passende musikalische Kompositionen verbergen. Ein Flyer zum Rundgang ist in der Touristen-Information erhältlich.
Dom St. Marien
Eine Ringelnatz-Stele befindet sich übrigens auch unmittelbar vor dem über 900 Jahre alten Wurzener Dom St. Marien. Innerhalb seiner heiligen Hallen bietet sich für Kunstinteressierte ein breites Spektrum mittelalterlicher Kunst, darunter die nicht unumstrittene Ausstattung aus den Jahren 1930/31 durch Professor Georg Wrba mit einer beeindruckenden Kreuzigungsgruppe. Für Wanderer auf dem Jakobspilgerweg oder dem Lutherweg ohnehin ein Muss, kommen im Dom auch Musikliebhaber*innen auf ihre Kosten: Das rege Musikleben mit zahlreichen Konzerten wird vorangetrieben durch die große Jehmlich-Orgel. Domführungen und die sonntäglichen Gottesdienste verschaffen einen erweiterten Zugang zu Historie und Glauben.
Gastronomie
Gleich neben dem Dom steht das Schloss Wurzen, wo man nach einem Streifzug durch die Geschichte in historischem Ambiente speisen kann. Das Schloss, in dem nachweislich Reformationsgeschichte geschrieben wurde, lädt zum Beispiel zum sogenannten "Ritteressen" ein. Hier werden in den imposanten Gewölberäumen mittelalterlich rustikale Menüs aufgetischt, während körperliche Wettstreite und ein amüsantes Rahmenprogramm für Unterhaltung bei Groß und Klein sorgen. Wer möchte, kann sich anschließend massieren lassen und in den urigen Gemächern übernachten.
Wer seine kulinarischen Gelüste lieber mit einer kleinen Wanderung kombinieren möchte, der läuft vom Dom aus etwa eine halbe Stunde gen Wachtelberg-Mühlbachtal. Hier kann man im nahe gelegenen Fährhaus Wurzen direkt an der Mulde dinieren und anschließend den hoch auf dem Berg thronenden Bismarckturm besichtigen. Das lohnt sich vor allem, weil man von dort oben einen hervorragenden Ausblick auf die umliegende Landschaft und den Stadtkern in der Ferne hat.
Freizeit
Das Thema Wandern soll hier nicht nur angeschnitten werden – schließlich können Wander- und Naturbegeisterte rund um Wurzen wunderbar den einen oder anderen Kilometer reißen. Und das nicht nur auf dem Jakobspilgerweg und dem Lutherweg, für den man sich übrigens an der Touristen-Information einen Stempel abholen kann. Wer einen abwechslungsreichen Tagesausflug plant, dem können wir eine vom MDV ausgesuchte Tour empfehlen, die in Wurzen endet und in Naunhof beginnt – oder umgekehrt! Die Route führt entlang zahlreicher Berge und tiefblauer Seen mitten ins dichte Waldgebiet hinein. Dabei zeigen sich ehemalige Tagebaulöcher, die mit ihren schroffen Felskanten ein ausgezeichnetes Fotomotiv bilden und an Vulkankrater erinnern.
Eine weitere abwechslungsreiche Tour bringt Euch von Trebsen nach Wurzen – und zurück. Wer Wandern hingegen wenig abgewinnen kann und trotzdem aktiv sein will, dem sei die Paintballfarm Wurzen ans Herz gelegt. Gerade Kinder und jüngere Erwachsene kommen auf über 10.000 Quadratmetern Spielfläche voll auf ihre Kosten.
Also: Sachen gepackt, in den nächsten Zug oder Bus gestiegen und ab nach Wurzen!
Anfahrt bis Bahnhof Wurzen:
RE 50
S3
693, 694
659, 660, 661, 672, 674
Bildquelle: Die Texterkolonie
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